Gams – ein faszinierendes Geschöpf, das in der Jägerausbildung mit vielen Bildern und Illustrationen studiert und rezitiert wird. Aber in echt? Das ist eine ganz andere Hausnummer, das muss man einfach erlebt haben!

Wir durften es genießen – eine kleine Gruppe von (Jung)Jägern unter Führung des unglaublich sympathischen, „entschleunigten“ und mit Herz und Seele begeisterten Jagdaufsehers Karl Schmid.

In den bayerischen Alpen war unser „Pirschbezirk“. Ein wunderschönes Bergrevier mit über 1.000Hektar. Voller Vorfreude trafen wir uns auf dem vereinbarten Parkplatz, um dann Huckepack auf der Pritsche des L200 über Stock und Stein und Steigungen von gefühlten 60 Grad zu unserem Startpunkt zu kommen.

Dort angekommen ging der Motor aus und es herrschte: Stille. Absolute Stille. Als ob man dem gewohnten Zivilisationslärm den Stecker gezogen hätte. Was für eine Wohltat.

Wasservorräte und Brotzeit eingepackt, den Rucksack aufgeschnallt, die Gamaschen hochgezogen, den Schnürsenkel fester gezurrt und den Pirschstock in die Hand. Auf geht’s. Aber ohne Eile! „Wir haben alle Zeit der Welt. Gönnt Euch bitte die Muße, genießt die Landschaft, den Blick, die Natur und stellt zu allen Gedanken und Eindrücken Fragen“ – so Karl, dessen entspannte Art sich sofort auf uns übertrug.

Hier eine Orchideenart, dort der giftige weiße Germer (der den Überlieferungen zufolge Alexander den Großen getötet haben soll), hier der Türkenbund, anderswo der „Muckenbaum“. Ein ausgehöhlter Baumstumpf in dem die Bauern einen kontrollierten Schwelbrand legen, damit der Rauch die Fliegen und Mücken von den Viechern fernhält…die Kühe wissen das und legen sich gerne reihum.

Mal etwas flacher, mal heftig steil führt uns der Pfad nach oben. Der Pirschstock ist immer im Einsatz und beim Innehalten daran aufgelehnt und den Blick in das Tal schweifend fühlt sich das gut an. Sehr gut. Erhaben und souverän.

In einem ganz ausgesuchten Kar (eine Art kleines Tal an Gebirgshängen) lag unser Ziel. Mittendrin und auf einer Erhebung befand sich die „Ansprechhütte“. Aufgepflockt und fest verankert am Berg, angelehnt an eine urige Wurzel eines alten Baumes die zugleich als Stufe diente, ermöglicht sie den Blick auf ein Steinfeld und direkt daneben Latschenkiefern. Wow! Geht’s noch schöner? Nein! Darauf müssen wir mit einem kühlen Getränk anstoßen – so will es der Brauch. Und einem Brauch widersetzt man sich nicht.

Gefühlte 350 Meter entfernt auf dem Steinfeld lagen bereits drei Gamsen und sonnten sich. Gefühlt reicht aber einem verantwortungsvollen Jäger nicht, weswegen Karl uns einen Laser-Entfernungsmesser reichte und uns nachmessen lies…erstaunlich, wie heftig man sich verschätzen kann. Die Differenz bleibt aber unser Geheimnis.

Je länger man sich umschaute, Geduld wird bei der Gebirgsjagd außerordentlich belohnt, umso mehr entdeckte man Gamsen. Noch weiter hinten auf einem Felsvorsprung, zwischen einer Felsspalte, in den Latschenkiefern. Vorne, rechts, links, oben, hinter dir. Unglaublich. Und sie ließen sich trotz dem einen oder anderen Wanderer, der zur nächsten Alpenhütte zog, nicht schrecken.

Die Gamsen genossen die Sonne. Aber welches Geschlecht haben sie und wie alt sind sie? „Hier mein Spektiv, mit dem Fernglas ist es nicht eindeutig genug. Sprich mal die Gams, die zweite von links auf dem Steinfeld an. Was siehst Du alles?“ motivierte Karl, um unser theoretisches Wissen in die Praxis umzumünzen. „Die Krucken sind deutlich über den Lauschern und laufen eher nach hinten aus. Und ein Pinsel ist ebenfalls nicht zu sehen. Müsste weiblich sein. Der Körperbau wirkt nicht allzu kräftig, vielleicht 3-5 Jahre?“. „Fast“ kam als Antwort. „Schau mal auf die Zügel. Die sind total verwaschen, haben überhaupt keine Abgrenzung mehr, der ganze Kopf sieht trocken, fast strohig aus. Und die Augen wirken, als ob sie nach außen stehen würden, wie Glupschaugen. Und der Körper im Vergleich zu der Gams weiter rechts wirkt müde…diese Gams ist alt, sehr alt. Die ist mindestens 15…ooooooh, die ist richtig alt“ fügt Karl sich selbstredend hinzu. Karl ist so ein netter Kerl. Das „Fast“ hatte wenigstens kurz Hoffnung gemacht.

Aber auf einmal wussten wir, wo wir genauer hinschauen mussten. Ja, theoretisch hätten wir das alles wissen müssen. Aber so in live und wackeligem Spektiv-Durchguck ist alles anders. Die nächsten gingen viel, viel besser von der Hand und wir lagen dicht an der Wahrheit. Aber ein Bock und Kitze fehlten noch, trotz 12 Gamsen…Geduld, lieber Jäger…

Die Sonne zog langsam längere Schatten. „Eigentlich müssten sie demnächst Richtung Salzlecke gehen“ hörten wir Karl sagen. Wie auf Kommando marschierten sie auf einmal gemütlich aber stetig in diese Richtung. Gibt es das? Verrückt, wie unser Jagdaufseher „seine“ Tiere kennt.

Was ist denn das? Ein Kitz. Nein Zwei. Drei! Der berühmt berüchtigte Kindergarten von dem immer wieder berichtet wird kommt auf die Bühne. Begleitet von einer Gams als Erzieherin. Oh wie schön ist das anzusehen. Wie sie spielen und springen. Alle schön beieinander und gehorsam. Sehr gut erzogen!

Und was ist da hinten? Flehmt da etwas ein Bock? Ja! Ein einzelner, kräftiger tritt ebenfalls aus den Latschenkiefern heraus. Die Brunft kann es noch nicht sein. Klar, er markiert schon einmal sein Revier. Und eine Angebetete scheint er auch schon zu haben, die hat er fest im Visier und ist immer in ihrer Nähe. Toll, das zu beobachten. Es wird still bei uns, jeder klemmt angespannt und neugierig hinter seinem Fernglas. Wunderbar, wie schön ist das denn?!

Wir beobachten und beobachten, wir bekommen einen „Röntgenblick“ durch die Latschenkiefern hindurch und entdecken noch bisher nicht gesehene Geschöpfe abseits des Steinfeldes. Ein Traum.

Aber jeder Traum findet ein Ende, denn die Sonne neigt sich dem Horizont zu. Wir müssen zusammenpacken…Mist, unsere Brotzeit ist irgendwie in Vergessenheit geraten. Vor lauter Staunen über die Natur. Doch noch schnell die eine oder andere edle, selbstgemachte Wurst, einen kräftigen Schluck und ein Brötchen. Aber jetzt Abmarsch zurück.

Mit Blick ins Tal steigen wir herab. Einfach zu imposant, um nur weiterzugehen. Innehalten, durchatmen, genießen. Nicht 1x, 2x, 3x… immer wieder passiert uns das. Am Auto angekommen gucken wir uns in die Augen. Pures Glück spricht daraus. Was für ein Tag. Ein Geschenk, das uns gegeben wurde.

Waidmannsheil